„Tag der Nationalen Arbeit“ in Berlin – Rumstehen oder rebellieren?

Bundesweit/Berlin • Auch am 1. Mai 2010 hat die extreme Rechte versucht, an verschiedenen Orten aufzumarschieren, wobei sie bundesweit schätzungsweise gut 3700 TeilnehmerInnen mobilisieren konnte. In Berlin hatte Sebastian Schmidtke (Neonazi-Aktivist und stellvertretender Landesvorsitzender der NPD Berlin) einen  Aufmarsch im Prenzlauer Berg angemeldet, an dem rund 640 Neonazis teilnahmen. Zeitgleich fand eine als "Plan B" organisierte "Spontan"-Demonstration von über 300 Neonazis auf dem Kurfürstendamm statt, die für die meisten  TeilnehmerInnen mit der vorläufigen Festnahme endete.

 

Veranstaltungen wie diese manifestieren die Aktionsfähigkeit der neonazistischen Szene, sie sind Mittel der  Intervention in aktuelle gesellschaftliche Debatten. MitarbeiterInnen des apabiz erstellen bei solchen Veranstaltungen Bild-, Video- und Audiodokumente, die als Grundlage von Dossiers wie dem vorliegenden dienen und Hilfe für zukünftige Auseinandersetzungen sein sollen.

1. Zusammenfassung

Der Aufmarsch im Prenzlauer Berg wurde, ähnlich wie in anderen Städten, durch zivilgesellschaftliche und  antifaschistische Proteste nach 800 Metern zur Umkehr gezwungen. Die TeilnehmerInnen dieses Aufmarsches – der Frauenanteil dürfte bei lediglich 10-15 % gelegen haben – sammelten sich gegen 12 Uhr am S-Bahnhof Bornholmer  Straße, von wo aus sie Richtung Landsberger Allee marschieren wollten. Die erwarteten 1000-3000 Teilnehmenden kamen auch nach gut zwei Stunden des Wartens bei Weitem nicht zusammen. Nach der Begrüßung durch Anmelder Schmidtke, einer musikalischen Einlage durch den Liedermacher Sebastian Döhring alias „Fylgien“ und einer Rede des norddeutschen Neonazi-Aktivisten Christian Worch setzte sich der Aufmarsch gegen 15 Uhr in Bewegung, um alle paar  Meter aufgrund von Blockaden und anderen „Sicherheitsrisiken“ wieder anzuhalten.

Auch prominente PolitikerInnen wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, Günther Piening  (Integrationsbeauftragter) und Matthias Köhne (Stadtteilbürgermeister Pankow) hatten sich den vielen Sitzblockaden  angeschlossen, an denen sich insgesamt mehrere Tausend GegendemonstrantInnen beteiligten. Um kurz nach 17 Uhr  musste schließlich der Neonazi-Aufmarsch umkehren und die selben 800 Meter zurück zum S-Bahnhof Bornholmer  Straße laufen. Wenngleich die antifaschistischen Blockaden nicht in Sichtweite der Neonazis kamen, so konnten doch viele AnwohnerInnen und vereinzelte Grüppchen von Nazi-GegnerInnen den Aufmarsch durchgängig mit Protestparolen und/oder Musik beschallen.

Wulff droht in alle Richtungen

Wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund der Verkürzung der Veranstaltung trat nach der Auftaktkundgebung nur  Thomas Wulff an das Mikro des Lautsprecherwagens, um zwei kürzere Reden und diverse Zwischenreden zu halten. In diesen hetzte er wahlweise gegen die „antifaschistischen Handlangertruppen eines maroden Politsystems“ und die  Linke, gegen „die internationale Hochfinanz mit ihrer geplanten Weltregierung“ und den „globalen  Raubtierkapitalismus“ oder gegen „Multikulti-Wahnsinn“ und „Masseneinwanderung“, gegen „nigerianische  Asylbetrüger“ und „türkische Wanderarbeiter“. Zuletzt ging auch noch eine Drohung an die Polizei, die angeblich
den Aufmarsch nach dessen Umkehr aufhalten würde: „Herr Lehnert, ich fordere Sie noch mal auf mit Ihren Beamten vorne die Spitze zum Laufen zu bringen. Wenn Ihre Beamten da vorne die Straße sperren und uns nicht weitergehen  lassen, dann helfen uns Ihre Durchsagen zum Weitergehen herzlich wenig. Ansonsten wären wir ja gezwungen, gegen Ihre Beamten vorzugehen. […]“

Während Wulff die meisten Zwischenreden bestritt, skandierte ein junger, augenscheinlich den Autonomen  Nationalisten zugehöriger, Neonazi über den Lautsprecherwagen verschiedene Parolen. Sowohl er als auch Wulff stimmten die in den polizeilichen Auflagen untersagte Parole „Die Straße frei der deutschen Jugend!“ an. Zudem wurde am Ende des Aufmarsches das verbotene HJ-Lied „Ein junges Volk steht auf“ gesungen, ohne dass die Polizei einschritt.

Das Spektrum der Teilnehmenden

Im Prenzlauer Berg fiel BeobachterInnen des Aufmarsches schnell auf, dass das Spektrum der Teilnehmenden sowohl  regionale als auch subkulturelle bzw. politische Schwerpunkte hatte. An NPD-Prominenz war hier – bis auf den  ehemaligen Landesvorsitzenden Jörg Hähnel, der auf dem Kurfürstendamm war – vertreten: Uwe Meenen  (Landesvorsitz), Gerd Finkenwirth (Auslandsbeauftragter der NPD), Michael Regener („Lunikoff“), Jan Sturm und  Sandor Makai. Daneben waren aus Berlin Mitglieder der Nazi-Rocker-Gruppe Vandalen und vereinzelte Mitglieder der inzwischen verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) vor Ort.

Von außerhalb Berlins waren vor allem Brandenburger Neonazis, ein paar Neonazis/Autonome Nationalisten aus  Nordrhein-Westfalen, einige aus Sachsen und Sachsen-Anhalt und größere Gruppen aus dem Gebiet Hildesheim,  Wolfsburg, Braunschweig angereist, unter letzteren auch der langjährige Kader Dieter Riefling, der nach der erzwungenen Umkehr äußerst aggressiv auf anwesende JournalistInnen losging. Aus dem Ausland waren u.a.  AktivistInnen der niederländischen „Nieuw-Solidaristisch Alternatief“ (N-SA) und italienische FaschistInnen anwesend.

„Spontane Revolte“ auf dem Kurfürstendamm

Offensichtlich abwesend waren im Prenzlauer Berg die Berliner und Brandenburger Anti-Antifa-Szene und andere  Autonome Nationalisten sowie die Mitglieder des verbotenen „Frontbann 24“. Diese hatten sich vorab am S-Bahnhof  Schöneweide gesammelt und zogen dann über den Kurfürstendamm in Berlin-Charlottenburg. Dort veranstalteten sie zwei kleine Sitzblockaden, bevor sich nach einigem Gerenne 286 der Neonazis von der Polizei festnehmen ließen. Auf  dem Pflaster hinterließen sie ein umfangreiches Arsenal an Waffen (Pfefferspray, Schlagstöcke, Pyrotechnik, ein Messer). Hier waren Jörg Hähnel und knapp zehn internationale Gäste aus Spanien und Italien, Gesine Hennrich  (Ex-Frontbann 24) und jüngere Neonazis wie David G. und Marcel K. anwesend. Dass diese Aktion bei weitem keine  spontane Demonstration war, sondern im Vorfeld durch die Demoleitung und damit durch Sebastian Schmidtke als „Plan B“ minutiös organisiert worden war, belegen interne Emails vom 29.4.2010, die dem apabiz zugespielt wurden  (siehe Presseschau).

Auch der NPD-Landesvorsitzende Uwe Meenen war zu Beginn der Aktion am Ku’damm anwesend, hielt sich jedoch  abseits und fuhr in den Prenzlauer Berg, wo er mit einiger Verspätung Präsenz zeigen konnte. Dort hatte Schmidtke zu Beginn des Aufmarsches öffentlich behauptet, er selbst wisse nicht, „welche 340 Kameraden ungefähr über’n Ku’damm grade laufen“. Im Vorfeld war es Schmidtke noch gelungen, sich als guter Kooperationspartner zu verkaufen: Claudia Schmid, Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, hatte auf der Sitzung des Innenausschusses am 28. April 2010 seine  sorgfältige Organisierung des Aufmarsches positiv erwähnt. Dieses Image dürfte er jetzt wohl verspielt haben, wobei  die Frage offen bleibt, wieviel denn die Berliner Sicherheitsbehörden vom „Plan B“ wussten.

Bewertung

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Anmelder Schmidtke versuchte, sowohl den Aufmarsch im Prenzlauer  Berg „gesittet“ durchzuführen, als auch zeitgleich die Aktionsorientiertheit der Berliner und Brandenburger Autonomen Nationalisten mit der klandestinen „Spontan“-Demonstration am Kurfürstendamm zu bedienen. Zwar hat er erfolgreich die Berliner Polizei vorgeführt, doch dürfte das dem Zusammenhalt und der Stärkung der Berliner  Neonaziszene auf Dauer kaum dienen. Schließlich wurde über die Internetseite des Nationalen Widerstandes Berlin über ein halbes Jahr mit Aufrufen, Flugblatt- und Sprühaktionen für den Aufmarsch mobilisiert. AktivistInnen aus diesem Umfeld nahmen letzlich dann selbst größtenteils nicht an ihm teil. Auch wenn die Neonazis die Aktion auf dem Kufürstendamm als legendären Erfolg zu verkaufen versuchen, so sind die Festnahmen fast aller Teilnehmenden und  die Verprellung der nach Berlin mobilisierten „Kameraden“ sicherlich nicht wegweisend für zukünftige Zusammenarbeit.

Die szene-internen Diskussionen über Aktionsformen halten derweil an. Relativ resonanzlos blieb hingegen eine ca.  30-köpfige Kundgebung am S-Bahnhof Halensee unter dem Motto „Im Knast sitzt Einer, gemeint sind wir alle!“ am 15. Mai. Anlass waren einige Hausdurchsuchungen am 10. Mai sowie die Festnahme wegen „Körperverletzung“  eines der Teilnehmenden der Aktion am Kurfürstendamm am 13. Mai 2010.

Obwohl Polizei und Innensenat in Berlin den antifaschistischen und zivilgesellschaftlichen Gegenmobilisierungen im  Vorfeld massiv Steine in den Weg gelegt hatten, verlief die Durchführung des „Dresdener“ Blockadekonzeptes gegen den Aufmarsch im Prenzlauer Berg überaus erfolgreich. Dass bis direkt vor dem Neonazi-Aufmarsch keine Route bekannt und damit keine Gegendemonstrationen planbar waren, erschwerte den notwendigen Protest genauso wie die  Versuche der Kriminalisierung und die unverhältnismäßig brutalen Räumungen einiger Blockadepunkte. Folgend auf die Kriminalisierungen im Vorfeld brachen auch nach dem 1. Mai, ausgelöst durch die Teilnahme Thierses an den  Sitzblockaden, erneut öffentliche Diskussionen um die Legitimität verschiedener Protestformen aus. Letztendlich  wurde das Verfahren gegen Thierse wegen „geringer Schuld“ eingestellt. Neonazi Christian Worch hatte gleich am 2. Mai Strafanzeige gegen Thierse erstattet.

Hier geht es zum gesamten Dossier (pdf, 550 kB).

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