Historisch vermintes Gebiet

 

Von German Foreign Policy

Der Bund der Vertriebenen (BdV) eröffnet seine bundesweiten Veranstaltungen zum diesjährigen „Tag der Heimat“ mit neuen Forderungen und heftigen Attacken gegen mehrere osteuropäische Nachbarstaaten. Die Bundesregierung müsse endlich den nationalen Gedenktag für die „Opfer der Vertreibung“ realisieren und bei künftigen Auslandsreisen auch BdV-Funktionäre in ihre Begleitdelegationen aufnehmen, verlangt BdV-Präsidentin Erika Steinbach. Über die frühere Tschechoslowakei behauptet die Bundestagsabgeordnete, das Konzentrationslager Theresienstadt sei dort nach Kriegsende „fleißig weiter betrieben“ worden, „auch ohne Hitler“. Steinbach verbindet ihre Invektive mit harten Angriffen gegen die jährlichen Moskauer Feiern zum Jahrestag des Sieges über Nazideutschland und kündigt neue Gedenkaktivitäten ihres Verbandes an. Die Äußerungen wurden auf einer BdV-Veranstaltung am vergangenen Samstag in Berlin getätigt, die Bundespräsident Christian Wulff und Kanzlerin Angela Merkel mit Grußworten würdigten. Sie schlagen den Ton für lokale Veranstaltungen zum „Tag der Heimat“ an, die im kommenden Monat im gesamten Bundesgebiet stattfinden.

Auch ohne Hitler

Wie BdV-Präsidentin Erika Steinbach (CDU) am vergangenen Samstag in ihrer Rede beim Berliner Festakt zum „Tag der Heimat“ behauptete, seien auch nach dem Sieg über das NS-Regime noch „Terror“-Praktiken in Ost- und Südosteuropa zu beklagen gewesen. Über die Nutzung der Gebäude vormaliger NS-Konzentrationslager zur Internierung umzusiedelnder Deutscher, aber auch von NS- und Kriegsverbrechern äußert Steinbach in einer Formulierung, die die Alliierten und die befreiten Staaten in die Nähe der deutschen KZ-Verbrecher rückt: „Buchenwald und Theresienstadt wurden fleißig weiter betrieben, auch ohne Hitler.“[1] Die BdV-Präsidentin, die zur Zeit als Sprecherin für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe dem Vorstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion angehört, hatte bereits zum Tag der Heimat 2008 behauptet, die einst von den Nazis überfallenen Länder Ost- und Südosteuropas seien „auch nach dem Krieg noch“ lange Jahre „eine gigantische Sklavenhalter-Region“ gewesen.[2] Dieses Jahr fügte Steinbach in Anspielung auf die Anwesenheit westlicher Politiker bei den russischen Feierlichkeiten zum 9. Mai – dem Jahrestag der Befreiung von der NS-Terrorherrschaft – hinzu, sie könne „keinerlei Verständnis dafür aufbringen, wenn demokratische Politiker an den jährlichen Siegesparaden in Moskau teilnehmen“. Hitler und Stalin seien schließlich „Spießgesellen“ gewesen, „die sich zunächst ihre Beute genüsslich teilten, bis der eine über den anderen herfiel“.[3] Am 9. Mai gebe es daher in Russland nichts zu feiern.

„Wurzeln der Vertreibung“

In ihrer Rede kündigte Steinbach im Anschluss an die Invektiven gegen mehrere Nachbarstaaten an, der BdV werde seinem Geschichtsbild in der näheren Zukunft mit verschiedenen eigenen Initiativen Ausdruck verleihen. So werde die BdV-Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“ am 25. Oktober im Deutschen Bundestag eine neue Ausstellung eröffnen und diese ab März 2012 zusammen mit den beiden Vorgängerprojekten als „Trilogie“ im Berliner Kronprinzenpalais präsentieren.[4] In den drei Ausstellungen wird eine Zeitspanne behandelt, die von den Ursprüngen des „Deutschtums“ in Ost- und Südosteuropa bis zur Integration der Umgesiedelten in der Bundesrepublik reicht. Dabei könne, behauptet Steinbach, „der historische Kontext zum Vertreibungsgeschehen nicht kurzsichtig und ahistorisch an den Beginn des Zweiten Weltkriegs geknüpft“ werden.[5] Stattdessen reichten die „Wurzeln der Vertreibung“ bis in die „Mitte des 19. Jahrhunderts“ zurück. Dieser Zeitpunkt benennt die Phase, in der sich etwa auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik Widerstand gegen die Unterdrückung der tschechischsprachigen Minderheit im Habsburgerreich zu regen begann und – ähnlich wie im damals zwischen Preußen, Österreich und Russland geteilten Polen – eine nationale Bewegung nach Unabhängigkeit von den deutschsprachigen Herrschern strebte. Steinbach zitiert den inzwischen verstorbenen SPD-Politiker Peter Glotz: „Wer wirklich gegen Vertreibungen (…) kämpfen will, der muss die ganze Kette der Ursachen beleuchten.“

Gemeinsam gestalten

Steinbach zufolge haben mehrere Staaten Ost- und Südosteuropas ihre angebliche Schuld an der Umsiedlung der Deutschen inzwischen eingeräumt oder zumindest Bedauern darüber ausgedrückt. Dies gelte etwa für Ungarn (german-foreign-policy.com berichtete [6]), aber auch für die Slowakei und Rumänien. So habe das slowakische Parlament bereits am 12. Februar 1991 eine Erklärung verabschiedet, in der es heiße, man sei sich „bewusst, dass die Slowakei mit der Evakuierung und nachfolgenden Vertreibung deutscher Mitbürger“ eine „ethnische Gruppe“ verloren habe, „die über Jahrhunderte hinweg (…) in bedeutendem Maße für die kulturelle Mannigfaltigkeit unseres Landes sorgte“. Die Karpatendeutschen waren nach Kriegsende umgesiedelt worden, weil sie weithin mit den Nazis kollaboriert und sich an der Zerstörung der Tschechoslowakei beteiligt hatten. Ohne dies auch nur indirekt zu erwähnen, hieß es 1991 in der Parlamentserklärung: „Heute reichen wir euch allen, Zeugen früherer Zwietracht, den Vertriebenen und ihren Nachkommen, von der Slowakei aus freundschaftlich die Hand. (…) Lasst uns gemeinsam an der Gestaltung der vergangenen Heimat arbeiten.“[7] Steinbach zufolge hat unlängst der Außenminister Rumäniens bei einem Treffen aus Rumänien umgesiedelter Deutscher eine ähnliche Erklärung abgegeben und sich „vor den Opfern des kommunistischen Unrechts verneigt“; gemeint waren deutschsprachige Umgesiedelte. Ähnliche Äußerungen gebe es, bekräftigte Steinbach, aus dem Baltikum sowie aus einigen Nachfolgestaaten Jugoslawiens.

Nicht nur Wirtschaftsdelegationen

„Nur einige wenige Staaten in Europa“, fuhr Steinbach vor allem mit Blick auf Polen und auf die Tschechische Republik fort, „versperren sich nach wie vor dem Miteinander.“ Deshalb müsse jetzt „die deutsche Politik“ Druck ausüben. Sie „appelliere an die Bundesregierung“, äußerte die BdV-Präsidentin, bei Reisen ins Ausland in Zukunft „nicht nur Wirtschaftsdelegationen“, sondern „auch Vertreter der Vertriebenen“ mitzunehmen.[8] Dies sei „gerade dann vonnöten, wenn es sich um historisch vermintes Gebiet handelt“. Es ist unschwer zu erkennen, dass Steinbach dabei vor allem künftige Reisen nach Warschau und Prag im Sinne hat. Abschließend sprach sich Steinbach dafür aus, den „Nationalen Gedenktag für die Opfer der Vertreibung“ endlich zu realisieren; genau dies hatte der Deutsche Bundestag im Februar bei der Bundesregierung in Auftrag gegeben. Nach wie vor ist dafür vor allem der 5. August im Gespräch, der Tag, an dem im Jahr 1950 die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ verabschiedet wurde. In der „Charta“ heißt es, die „Vertriebenen“ seien die „vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen“. Ihr Schicksal sei „ein Weltproblem, dessen Lösung höchste sittliche Verantwortung und Verpflichtung zu gewaltiger Leistung fordert“.

Bundesbeflaggung

Der diesjährige „Tag der Heimat“, den der BdV und seine Präsidentin mit der Veranstaltung vom vergangenen Samstag einläuteten, wird bundesweit begangen. Zahllose BdV-Landes-, Bezirks- und Kreisverbände führen öffentliche Veranstaltungen durch, um der Flucht und der Umsiedlung vieler Deutscher aus Ost- und Südosteuropa zu gedenken. Die Invektiven und die Forderungen der BdV-Präsidentin schlagen den Ton an, der die für die nächsten Wochen angekündigten Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet prägt. Für den Tag der Auftaktveranstaltung, den vergangenen Samstag, hatte das Bundesinnenministerium die Beflaggung aller Behörden und Dienststellen des Bundes sowie sämtlicher ihnen unterstellter Einrichtungen angeordnet. Auch die landesweiten sowie die örtlichen Veranstaltungen zum Tag der Heimat finden in aller Regel in enger Kooperation mit Vertretern der jeweiligen staatlichen Ebene statt – in Anwesenheit von Landesministern sowie kommunaler Prominenz.

Weitere Informationen zur Politik des BdV und seiner Mitgliedsverbände finden Sie hier: Heute ist es das Gleiche, Revisionsoffensive, Pflichtthema „Vertreibung“, Sklavenhalter, Ein Lernort, Tage der Aggression, Die deutsche Ostsiedlung, Auf der Lauer, 60 Jahre Aggressionen, Weichen für die Zukunft, Wertegemeinschaft Europa, Geschichte à la carte, Genauso böse wie die Deutschen, Nürnberg II, Die eigentliche Provokation und Europas Werteordnung.

[1] Wahrheit und Dialog – Schlüssel zur Verständigung. Rede der Präsidentin Erika Steinbach MdB zum Tag der Heimat in Berlin, 27. August 2011
[2] „Erinnern und Verstehen“. Tag der Heimat 2008. Rede der Präsidentin Erika Steinbach MdB am 6. September 2008. S. dazu Sklavenhalter
[3] Wahrheit und Dialog – Schlüssel zur Verständigung. Rede der Präsidentin Erika Steinbach MdB zum Tag der Heimat in Berlin, 27. August 2011
[4] zu den beiden ersten Ausstellungen („Erzwungene Wege“, „Die Gerufenen“) s. Die Perspektive der Täter und Die deutsche Ostsiedlung
[5] Wahrheit und Dialog – Schlüssel zur Verständigung. Rede der Präsidentin Erika Steinbach MdB zum Tag der Heimat in Berlin, 27. August 2011
[6] s. dazu Ein besonderes Verhältnis und Das deutsche Blutsmodell (I)
[7], [8] Wahrheit und Dialog – Schlüssel zur Verständigung. Rede der Präsidentin Erika Steinbach MdB zum Tag der Heimat in Berlin, 27. August 2011

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