„Liebe Patrioten, ihr seid die Speerspitze der deutschen Demokratie“ – Selbstverständnis und Außenwirkung von Bärgida

"Der November ist ein Monat deutscher Revolutionen. (...) Kommt aus dem ganzen Land und lasst uns an diesem Tag Geschichte schreiben, machen wir Nägel mit Köpfen." - heißt es in dem Aufruf zum "100. Abendspaziergang" von Bärgida für den 26. November 2016. Letztlich nahmen rund 150 Personen teil. Wir haben im diesjährigen Schattenbericht - Berliner Zustände einen umfassenden Text zu Bärgida publiziert, den wir an dieser Stelle noch einmal veröffentlichen.

 
Bärgida am 8. Juni 2015 © apabiz

 

„Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jedem Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen.“

Mit diesem über Lautsprecher abgespielten Bekenntnis beginnt jeden Montag die Kundgebung von „Bärgida“ am Berliner Hauptbahnhof. Allein dies verrät einiges über deren Selbstverständnis. Über Jahrzehnte hinweg wurden diese Sätze vom Westberliner Radiosender RIAS abgespielt. Noch heute ist das „Bekenntnis zur Freiheit“ jeden Sonntag im Deutschlandradio Kultur zu hören. Die im Hintergrund läutende „Freiheitsglocke“, die seit 1950 im Rathaus Schöneberg hängt, war ein Geschenk des US-amerikanischen, antikommunistischen „Nationalkomitees für ein freies Europa“.

Motiviert durch die seit Herbst 2014 in Dresden stattfindenden Großdemonstrationen von „Pegida“, rief erstmals am 5. Januar 2015 der Berliner Ableger „Bärgida“ („Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes“) zu einer geplanten Demonstration vom Roten Rathaus zum Brandenburger Tor auf. Während in Dresden bis zu 18.000 Menschen zu den von islam- und asylfeindlichen bis offen rassistischen Ressentiments geleiteten Veranstaltungen kamen, konnte diese Größenordnung in Berlin nicht einmal ansatzweise erreicht werden. Ließen sich zu den ersten „Bärgida“-Demonstrationen noch etwa 400 Personen mobilisieren, nahm die Begeisterung schnell und kontinuierlich ab und pendelte sich bei etwa 100 bis 150 ein. „Bärgida“ demonstriert dennoch seit dem ersten Tag ausnahmslos jeden Montag ab 18.30 Uhr – allein 2015 somit 52 mal.

Anmelder Karl Schmitt und sein Organisationsteam haben in den letzten Jahren bereits einige gemeinsame Erfahrungen gesammelt. Schmitt selbst kandidierte noch 2011 bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus für die Partei „Die Freiheit“, die ebenso wie die selbsternannte „Bürgerbewegung pro Deutschland“ mit antimuslimischem Rassismus zu punkten versucht hatte, am Parlamentseinzug aber kläglich gescheitert war. Von 2012 bis 2014 veranstaltete Schmitt den sogenannten „Tag der Patrioten“, der in diesen Jahren jeweils am 3. Oktober auf dem Breitscheidplatz stattfand. Mit von der Partie waren da bereits „Olaf“ aus dem Umfeld der „German Defence League“ (GDL) und „Mario“, der sich selbst dem islamfeindlichen Blog „Politically Incorrect“ (PI News) zuordnet. Beide gehören somit als alte Bekannte zum Kern des Organisationsteams von „Bärgida“. Ohnehin kann der „Tag der Patrioten“ als Schablone für „Bärgida“ bezeichnet werden – sowohl was die spektrenübergreifende Zusammensetzung der Teilnehmenden als auch was die inhaltliche Ausrichtung betrifft.

„Der Deutsche soll die Schnauze halten und zahlen und aussterben.“ – Ein Überblick zu den Reden bei „Bärgida“

Die einende und nach außen artikulierte thematische Klammer ist eine paranoide Angst vor einer imaginierten „Bedrohung Deutschlands“ beziehungsweise „des deutschen Volkes“. Dieses apokalyptische Denken ist die Grundlage eines auf Abschottung fixierten völkischen Nationalismus gepaart mit antimuslimischem Rassismus, einer dezidierten Asylfeindschaft, der Ablehnung etablierter Politik und als „Lügenpresse“ diffamierter Medien sowie einer ausgeprägten Pro-Russland-Haltung. „Merkel nach Sibirien, Putin nach Berlin“ ist eine immer wiederkehrende Parole bei „Bärgida“. Dieser „Putinismus“ ist nicht zuletzt Ausdruck des Wunsches nach einem starken „deutschen“ Nationalstaat jenseits einer vermeintlichen „EU-Diktatur“ und „Gängelung“ durch die USA. Die außenpolitische Orientierung an Russland ist in rechten Kreisen sehr geläufig. Ein Beispiel ist etwa im NPD-Parteiprogramm von 2010 zu finden, in dem ein Ausbau der deutsch-russischen Beziehungen gefordert wird.

Diesen Positionen wird durch einen häufig kruden Mix aus verschiedenen Fragmenten aktueller rechter Politdiskurse Ausdruck verliehen. Beispielhaft sei hier „Bärgida“-Mitorganisator „Mario“ zitiert, der am 17. August 2015 auf gewohnt besonders drastische Weise zur aktuellen Lage Stellung bezog, indem er die aus seiner Sicht zur „deutschen Apokalypse“ beitragenden Entwicklungen aufzählt:

„Einbindung in die Europäische Union, welche als diktatorisches Konstrukt konzipiert ist. Damit die generelle Auflösung der Nationalstaaten inklusive der Zerstörung des Nationalbewusstseins, der regionalen und nationalen Kulturen und so ganz nebenbei der christlichen Kultur. Die Abschaffung des deutschen Volkes durch hunderttausendfachen Kindsmord im Mutterleib pro Jahr, die Genderisierung und Schwulisierung der Gesellschaft, also die Zerstörung der Familie und der Familienstrukturen. Die Zerstörung des Bildungswesens und damit der wirtschaftlichen Zukunftsaussichten, Stichwort bei Karstadt. Die Zerstörung der Demokratie, die wenige Demokratie, die wir je hatten, durch den Aufbau und die Förderung einer linken Diktatur mit einer neuen Hitlerjugend da drüben [gemeint sind die Gegendemonstrant_innen; Anm. d. Verf.]. Die Zerstörung des Rechtsstaates mit unabsehbaren Folgen für den sozialen Frieden. Der große Austausch des deutschen Volkes durch Kulturfremde, leicht ungebildete und unqualifizierte Invasoren aus der südlichen Hemisphäre.“

Ein immer wiederkehrendes Motiv bei „Bärgida“ ist die Selbstinszenierung als Sprachrohr eines „deutschen Volkes“ sowie die Stilisierung zum Opfer einer vermeintlich „volksfeindlichen“ Politik, gegen die man sich zur Wehr setzen müsse. Dieses Selbstverständnis von „Bärgida“ als Teil einer rechten Widerstandsbewegung wird auch anhand unzähliger verbaler sowie symbolischer Parallelisierungen mit dem Nationalsozialismus deutlich. Der völkische Duktus dient aufgrund seiner apokalyptischen Prophezeiung nicht allein der Selbstlegitimation zum Widerstand, sondern er verpflichtet.

„Der moderne Nazi ist nicht braun sondern bunt und sein Holocaust ist der Mord am eigenen Volk!“

(Michael Mannheimer am 7. Dezember 2015)

Prägend für die Außenwahrnehmung ist die sogenannte „Wirmer“-Flagge, die aus dem Personenkreis um den hochrangigen Wehrmachtsoffizier und Hitler-Attentäter Graf Schenk von Stauffenberg hervorging und vielen Rechten heute als „Widerstandsflagge“ gilt. Noch deutlicher kommt das Selbstverständnis in den Reden zum Ausdruck. Man wähnt sich von der „neuen deutschen Hitlerjugend“ oder auch der „käuflichen SA-Schlägertruppe der Herrschenden“ verfolgt, warnt vor einer „Rehitlerisierung Deutschlands“ und fordert gar ein „Nürnberg 2.0“, wie es beispielsweise in einer Rede von „Mario“ deutlich wird:

„Die Deutschlandverräter wollen so schnell wie möglich unumkehrbare Fakten schaffen. Sie wollen mit Hilfe finanzieller globaler Verpflichtungen, siehe EU-Rettungsschirme, mit Hilfe illegaler Massenimmigration, einer Migrationswaffe übrigens, mit Hilfe der Destabilisierung demokratischer Verhältnisse bis zum Bürgerkrieg, das deutsche Volk und die deutsche Nation abschaffen. Sie begehen Verbrechen nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch. Wir klagen daher diese Verbrecher der Beihilfe zum Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 6 und 7 des deutschen Völkerstrafgesetzbuches an und verlangen die sofortige Verhaftung dieser Marionetten der neuen Weltordnung und die Überstellung an einen internationalen Strafgerichtshof.“

Überhaupt stellen wiederkehrende Verweise auf Paragrafen und Gesetze ein weiteres Merkmal in der Argumentationsstrategie von „Bärgida“ dar. Diese gehen bis hin zu Positionen, wie sie sonst von sogenannten „Reichsbürgern“ bekannt sind, wenn etwa von einem „Verwaltungskonstrukt BRD“ die Rede ist. Bisweilen nimmt die Opfer- und Verfolgungsrhetorik absurde Züge an. So wird fortlaufend behauptet, „die Antifa“ bekäme im Sinne eines „von oben“ verordneten Interesses einen 25€-Stundenlohn und sogar „Wurfgeld“ für jeden geworfenen Stein.

Vom „Großen Austausch“

Ähnlich groteske verschwörungsideologische Konstruktionen werden auch in diversen Reden zum Thema Asylpolitik deutlich, wenn beispielsweise von einem „großen Austausch“ die Rede ist. Hinter diesem auch von der neurechten „Identitären Bewegung“ genutzten Konstrukt steht laut „Mario“ die Vorstellung, dass die Migration nach Deutschland Teil eines gezielten Planes sei, das „deutsche Volk“ zu ersetzen:

„Wir sagen ganz klar, laut und deutlich. Die sogenannte Flüchtlingskrise ist weder ein Naturereignis, noch gottgegeben. Die Wanderungsbewegungen sind geplant, organisiert und finanziert.“

Allerdings gibt es dazu auch andere Deutungen. So konstatiert Manfred Rouhs, Bundesvorsitzender von „Pro Deutschland“ und regelmäßiger Redner bei „Bärgida“, in seiner am gleichen Tag gehaltenen Rede im Oktober 2015, dass die aktuelle Asylpolitik vielmehr als politisches Versagen betrachtet werden müsse:

„Die sogenannte Flüchtlingskrise unserer Tage ist kein Resultat durchdachter politischer Planung und schon gar nicht ein Ergebnis von human-orientierter Politik, ein Ergebnis von organisiertem Willen zur Hilfe. Das Gegenteil ist richtig. Dieses Chaos ist unorganisiert. Dieses Chaos ist hereingebrochen über eine politische Klasse, die nicht mehr weiß, welche Konsequenzen es hat, wenn Deutschland keine befestigten Grenzen mehr hat.“

Ähnlich widersprüchliche Sichtweisen werden bei der sehr seltenen Thematisierung von Fluchtursachen deutlich. Der extra aus München angereiste Michael Stürzenberger, Bundesvorsitzender von „Die Freiheit“, schlägt explizit rassistische Töne an, wenn er von einer mangelnden „Mentalität des Fleißes, des Tüchtigseins, des hart Arbeitens“ spricht. Manfred Rouhs hingegen erkennt eine mangelnde Perspektive in den Heimatländern als eine der zentralen Fluchtursachen durchaus an. Die Berechtigung, nach Europa zu kommen, wird jedoch so oder so abgesprochen – und so fordert Rouhs, die Deutungshoheit über den Begriff „Flüchtling“ zurückzuerobern: „Sind das Flüchtlinge, die hier nach Deutschland kommen? Nein Freunde, nein, das sind keine Flüchtlinge, es sind Menschen die eine Chance suchen auf Besserung ihrer ökonomischen Situation. Nicht zuletzt mit dieser Positionierung ist die Anschlussfähigkeit an die sogenannte „Mitte der Gesellschaft“ gegeben. Während die Bundesregierung mit den Asylpaketen der letzten Monate die Asylgesetzgebung abermals verschärft hat, ist der Diskurs um eine misstrauisch beäugte sogenannte „Armutsmigration“ zum einen und die Frage nach dem wirtschaftlichen Nutzen der Asylsuchenden zum anderen schon seit vielen Jahren fester Bestandteil der öffentlichen Debatte. Dass diese auch bei „Bärgida“ häufig zu hörende Unterscheidung nicht zuletzt als strategisch zu bewerten ist, wird etwa daran deutlich, dass selbst der NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke in seiner Rede bei „Bärgida“ im Juli 2015 diesen Fokus wählt: „Wir sagen zwar ja zu wirklich Kriegsverfolgten und ja zu Kriegsflüchtlingen, aber nein zu Wirtschaftsflüchtlingen, die unsere Wirtschaft bedrohen.“

Ein weiteres und von Flucht und Asyl kaum zu trennendes Thema bei „Bärgida“ ist „der Islam“. Das für den Beleg einer angeblichen „Islamisierung“ mitunter sogar von ein und derselben Person ganz unterschiedliche Herleitungen gefunden werden, verdeutlichen zwei Zitate von Heribert Eisenhardt, Funktionär des AfD-Kreisverbandes in Berlin-Lichtenberg, und regelmäßiger Sprecher bei „Bärgida“:

„Oft werde ich gefragt, was wir eigentlich mit Islamisierung meinen, wo doch nur so wenige Moslems in Dresden leben. Nun eigentlich meinen wir damit vor allem genau das eine, dieses seltsame Verhalten deutscher Politiker. Das ist bereits Islamisierung! Sie beginnt nicht durch einen neuen Dönerstand, sie beginnt als stille Angst vor der Wahrheit in den Köpfen der Menschen.“

Damit wird unterstellt, dass „der Islam“ einen unwidersprochenen Einfluss auf die deutsche Politik ausüben würde und so zu der diagnostizierten „Meinungsdiktatur“ beitrage. Einige Monate später führt Eisenhardt hingegen die von islamfeindlichen Blogs wie PI-News schon seit längerem praktizierte Koran- und Surenexegese als Beleg für eine „Islamisierung“ ins Feld:

„Es wird gefragt, warum wir Probleme mit dem Islam haben, zum Teil wird dann gesagt, es sind ja gar nicht so viele Moslems zum Beispiel in Dresden, was regen die sich alle auf? Es ist hilfreich, ich sag mal, in den Koran reinzugucken.“

Darüber hinaus werden finstere Dystopien und Kriegsszenarien gezeichnet, wobei sowohl reale Ereignisse wie die Terroranschläge des „Islamischen Staat“ (IS) als auch in den sozialen Netzwerken kursierende Gerüchte als Beleg für die angebliche „Islamisierung“ herhalten müssen. Trotz des immer wieder betonten Bekenntnisses zur Religionsfreiheit wird in den Reden eine Unvereinbarkeit von Islam und Grundgesetz bzw. Demokratie behauptet und von Hardlinern der rassistischen Bewegung wie Michael Stürzenberger eine Gleichsetzung von Muslimen mit Terroristen vollzogen.

„Und wenn es Leute gibt die durchdrehen: Die gab es immer schon!“

Eine nicht unwesentliche Rolle für die Außenwahrnehmung wie auch die Struktur von „Bärgida“ spielen die aus dem Milieu der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) hervorgegangenen extrem rechten Hooligans des mittlerweile aufgelösten „Bündnis Deutscher Hools“. Von Beginn an waren die „lieben Fußballfreunde“, wie sie freundschaftlich betitelt werden, gern gesehene Gäste bei „Bärgida“. Mit ihrem in der Regel alkoholbeeinflussten gewalttätigen und martialischen Gebahren prägten sie fortwährend das Erscheinungsbild von Bärgida. Trotz oder gerade wegen dieses Auftretens wurden sie als Ordner eingesetzt. Dies hatte zur Folge, dass Drohgebährden und Handgreiflichkeiten gegenüber Gegendemonstrant_innen und Pressevertreter_innen nicht nur geduldet wurden, sondern teils von den Ordnern selbst erfolgten. Auch von den beiden Bärgida-Teilnehmern, die im August 2015 eine Mutter und ihre beiden Kinder in der S-Bahn rassistisch beleidigt und bedroht hatten, distanzierte sich das Organisationsteam nicht. Im Gegenteil: Der mutmaßliche Mittäter war danach noch regelmäßig und unwidersprochen Teilnehmer bei Bärgida.

Dennoch wird insbesondere Versammlungsleiter Karl Schmitt nicht müde zu betonen, „Bärgida“ lehne Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele strikt ab. Dass der Zusammenhang zwischen hetzerischen Reden und der massiven Zunahme rassistischer Gewalt in Deutschland bewusst negiert wird, zeigen unter anderem die Redebeiträge von Heribert Eisenhardt, in denen er sich mit der Fragestellung von Gewalt und Mitverantwortung auseinandersetzt:

„Es gibt Gewalt. Es gibt Gewalt von rechts, Gewalt von links. Das ist Fakt. Aber auch rechte Gewalt, wie z.B. das Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin jetzt vor einer guten Woche. Das ist kein Grund für uns, in unserem Tun und Lassen zurückzustecken. Warum eigentlich? Wir haben ein klares Thema. Und wenn jemand durchdreht, das kann immer passieren, dass irgendjemand durchdreht wie Anders Breivik z.B. damals. Das kann man uns nicht in die Schuhe werfen. Warum? Weil wir einen Kritikpunkt benennen, oder mehrere Kritikpunkte benennen und es ist unser gutes Recht dagegen vorzugehen. Und wenn es Leute gibt die durchdrehen: Die gab es immer schon.“

Jenseits dieser Bekundungen zur Gewaltfreiheit betonen die Rednerinnen und Redner bei „Bärgida“ immer wieder den eigenen „Humanismus“: Frieden, Demokratie, Menschenrechte und das Bekenntnis zu den „wirklich Verfolgten“ sowie zur Religionsfreiheit sind die Bezugspunkte, die sich „Bärgida“ zu eigen macht. Dass diese Referenzen jedoch in erster Linie als Legitimationsstrategien betrachtet werden müssen, verdeutlichen die vielen Reden, in denen einzelne Personen aus Politik und Medienlandschaft sowie Muslime, Geflüchtete und Gegendemonstrant_innen mit Worten wie „Drecksschweine“, „Hassprediger“, „Gehirnkranke“, „Schmarotzer“ und „Invasoren“ massiv beschimpft und verunglimpft werden und man ihnen schlicht und ergreifend den Tod wünscht. So heißt es zum Beispiel im Oktober 2015 von der Bärgida-Bühne in Anbetracht der fehlenden Unterkünfte für Geflüchtete: „Flüchtlingshelfer fordern vom Senat bessere Lösungen, ich fordere den schlimmsten Winter seit 100 Jahren.“

Heterogenes Milieu mit offensichtlichen Widersprüchen

Auch im Hinblick auf die strukturelle Zusammensetzung der Teilnehmenden gibt es auffällige Diskrepanzen: Ein wesentlicher Teil ist dem islamfeindlichen Spektrum zuzurechnen, dem auch Karl Schmitt und Manfred Rouhs angehören. Dieses zeichnet sich durch ein instrumentelles Verhältnis zu Israel und ein Bekenntnis zum jüdischen Glauben, das als Bollwerk gegen den Islam verstanden wird. Dennoch reihen sich bei „Bärgida“ wie selbstverständlich Neonazis, antisemitische VerschwörungsideologInnen von der „Europäischen Aktion“ (EA) und sogenannte „Reichsbürger“ sowie verurteilte Holocaust-Leugner wie Gerd Walther mit ein. In der Selbstpositionierung der EA, die im Brandenburger Umland gemeinsame Demonstrationen mit neonazistischen Akteuren wie der Kleinstpartei „Der III. Weg“ und der militanten „Gefangenenhilfe“ machte, heißt es etwa: „Die Rassen- und Völkervermischung gehört zum Programm der Neuen Weltordnung, und deren Schutzherr sind die Vereinigten Staaten mit ihrer Militärmaschine. US-Truppen stehen zu diesem Zweck in vielen Ländern über die ganze Erde verteilt. Allerdings ist es ein offenes Geheimnis, dass Amerika zwar die Welt kontrolliert – die Israel-Lobby aber Amerika! Diese Lobby und die mit ihr verbundene US-Oberschicht sind die eigentlichen und einzigen Weltkriegssieger.“

Dem dürften NPDler wie Sebastian Schmidtke, Jan Sturm oder Hans-Ulrich-Pieper, die gelegentlich bei Bärgida teilnahmen, ohne Widerspruch zustimmen. Wie es jedoch Personen, die sich offen zu Israel oder zu ihrem jüdischen Glauben bekennen, inhaltlich vereinbaren können, dauerhaft neben Neonazis und Menschen mit Reichs- und Reichskriegsfahnen sowie denen der „Europäischen Aktion“ gegen die vermeintliche „Islamisierung des Abendlandes“ zu demonstrieren, ist einer der zentralen Widersprüche, der zugunsten der gemeinsamen Feinderklärung an „den Islam“ nicht nur temporär sondern dauerhaft ausgeblendet wird.

Dieses Setting lässt unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass „Bärgida“ nach außen nicht nur völkisch-rassistisch sondern gar neonazistisch wirkt. Von diesem Umstand lassen sich trotzdem selbst einige Akteure der AfD nicht abschrecken, obwohl die offizielle Linie der Partei eine Distanzierung von klaren Neonazi-Strukturen vorgibt. Heribert Eisenhardt ist dafür sicher das bekannteste Beispiel. Unter seinem Klarnamen tritt er als Vorstandsmitglied im Kreisverband Lichtenberg auf und kandidiert dort für die Bezirksverordnetenversammlung, als zeitweiliger „Bärgida“-Pressesprecher wählte er lieber das Pseudonym „Rainer Zufall“. Auch nachdem diese Doppelrolle und vor allem das regelmäßige Demonstrieren mit Neonazis durch apabiz-Recherchen öffentlich und anschließend medial skandalisiert wurde, hat dies Eisenhardt kaum geschadet. Obwohl seitens des AfD-Landesvorstands wegen einer Unvereinbarkeit ein Parteiordnungsverfahren angekündigt worden war, musste sich Eisenhardt weder mit Rücksicht auf seine Parteifunktion bei „Bärgida“ zurückziehen, noch hielt es die Partei für notwendig sich von ihm zu trennen, da er weiter als Redner bei „Bärgida“ auftrat. Doch Eisenhardt ist nicht der einzige AfD-Funktionär, der sich zu Bärgida bekennt. Aufgefallen war bei mehreren Demonstrationen im Sommer 2015 ein junger Mann, der sich offensiv als aktivster Vertreter der überschaubaren Gruppe der „Identitären Bewegung Berlin Brandenburg“ zu erkennen gab, Parolen über das Megaphon ausrief und einen Redebeitrag hielt. Wie sich später herausstellen sollte, handelt es sich um Jannik Brämer, der im November 2015 als Schatzmeister in den Landesvorstand der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ gewählt wurde. Auf Brämer ist auch die Homepage der „Identitären Bewegung Deutschland“ registriert.

Effektloser Selbstzweck

Es sind zwei Aspekte im Hinblick auf „Bärgida“ bemerkenswert – der überschaubare zahlenmäßige Zuspruch und die mangelnde Außenwirkung gehören definitiv nicht dazu. Charakteristisch ist vielmehr zum Einen die geradezu stoische Kontinuität. Egal ob bei klirrender Kälte und Schneefall oder bei sengender Hitze ohne Schatten, trotz minimaler Außenwirkung und das über weite Strecken mediale Desinteresse ließ sich der harte Kern von „Bärgida“ nicht davon abbringen, Woche für Woche zum Hauptbahnhof zu pilgern. Zum Anderen fällt auf, dass sich unterschiedlichste AkteurInnen der extremen Rechten dauerhaft zusammenfinden und ihre teilweise offenkundig widersprüchlichen inhaltlichen Ausrichtungen dauerhaft ausblenden können. Die in den ersten Wochen von „Bärgida“ formulierten Forderungen, die sich im Großen und Ganzen an den „Dresdener Thesen“ von „Pegida“ orientierten, spielten im Verlauf der Zeit kaum noch eine Rolle. „Bärgida“ erfüllt damit in erster Linie einen Selbstzweck für die Teilnehmenden. Es hat sich eine eingeschworene Gemeinschaft formiert, in der sich die Teilnehmenden gegenseitig Bestätigung geben. Ein Teil geht mit Sicherheit von der irrsinnigen Annahme aus, mit den Protesten und in deren Rahmen geäußerten Aufrufen zu „Umsturz“ und „Generalstreik“ genau das tatsächlich bewirken zu können. Es zeichnet sich ab, dass „Bärgida“ weitermachen wird, bis letztlich nur noch das Organisationsteam um Karl Schmitt allein am Hauptbahnhof erscheint. Inhaltlich lassen sich wie gezeigt aktuelle extrem rechte Diskurse nachvollziehen, die derzeit erschreckende Zustimmung in Teilen der Gesellschaft erfahren, auch wenn „Bärgida“ selbst von einer Massenbewegung sehr weit entfernt ist. Deshalb und solange sich – auch ermöglicht durch das unsensible Agieren der Berliner Polizei – skandalöse Situationen abspielen wie am 17. August 2015, bleiben eine kritische Beobachtung wie auch Gegenproteste unabdingbar. An diesem Tag konnte „Bärgida“ nicht nur am Lageso vorbeiziehen, sondern bekam für die Abschlusskundgebung die Fläche direkt am Deportationsmahnmal auf der Putlitzbrücke in Moabit zugewiesen. Dort wurde wie bei „Bärgida“ üblich unter wehenden Reichsfahnen und mit Beteiligung von Neonazis „Das Lied der Deutschen“ in allen drei Strophen gesungen.

Dieser Text wurde zuerst in Berliner Zustände 2015 – Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus Schattenbericht 2015  veröffentlicht. Alle Zitate sind Reden bei Bärgida entnommen, die durch das apabiz dokumentiert wurden.

 

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